Auch im Internet zeigen viele Yogalehrer ihr Können. Aber: Wer schwierige Yogaposen beherrscht, ist nicht automatisch ein guter Lehrer.
„Schau mal, was ich hier entdeckt habe“, schreibt mir eine Freundin und sendet einen Link zu einer bekannten Social-Media-Plattform. Es erscheint ein kurzes Video einer Yogalehrerin. Elegant zeigt sie eine fließende Übungsabfolge, einen Flow. 30 Sekunden lang schwingt die hübsche Kollegin sich von einer anspruchsvollen Pose in die nächste und zeigt dabei ihr Können. So geht es zum Beispiel von einer Planke mit seitlich angewinkeltem Bein in den heraufschauenden Hund und schließlich in das herabschauende Äquivalent – allerdings auf dem Fußrücken gestanden anstatt auf den Zehen. „Sieht wie ein Tanz aus“, schreibt meine Freundin begeistert. Und sie hat Recht: Es ist ein tolles Video, das eine fitte Kollegin zeigt, die weiß, was sie tut.
Was mich dabei stört: In der Beschreibung unter dem Beitrag wirbt sie für den dazugehörigen Onlinekurs, in dem die gesamte Abfolge erlernt wird. „Level 1-2“ lautet die Einstufung. Aber: Mit Sicherheit ist dieser Flow für Anfänger und leicht Fortgeschrittene zu schwer! Und was bedeutet eigentlich Level 1-2?
Social Media als Visitenkarte
Leider ist das kein Einzelfall. Wer sich online in der Yogawelt umschaut, erkennt schnell:
Wir Yogalehrer neigen dazu, auf unseren Webseiten und Social-Media-Auftritten zeigen zu wollen, was wir können.
Denn schließlich sind solche Internetpräsenzen unsere Visitenkarten. Wir können uns potenziellen Schülern vorstellen, sie mit schönen Bildern auf uns aufmerksam machen und mit coolen Moves von unserem Können überzeugen. Deshalb geben wir unser Bestes – und oft genug zeigen wir dann eben die ausgefallensten Posen, die wir zu bieten haben.
Achtsame Begleiter
Der Trugschluss dahinter: Nur, weil ein Yogaprofi schwierige Übungen beherrscht, ist er nicht automatisch ein guter Lehrer. Viel wichtiger als das eigene Können zu demonstrieren ist es doch, die Schüler auf ihrem Level abzuholen und ihnen die richtige Technik zu vermitteln. Wir sind viel mehr als perfekte Vorturner, die mit ihrem Können angeben. Sollten wir nicht eher achtsame Begleiter unserer Schüler sein und ihnen Übungsabfolgen anbieten, die zu ihrem Level passen? Sie also gezielt fordern und nicht überfordern?
Zugegeben: Online hat ein Lehrer keine Chance, die Stunde auf die Bedürfnisse seiner Schüler zuzuschneiden. Jeder User kann an jedem Kurs teilnehmen, so wie er es für richtig hält. Und leider neigen gerade Anfänger dazu, sich zu schwierige Kurse auszusuchen. Denn in unserem Alltag geht es immer darum, schnell voranzukommen und Erfolge zu erzielen. Deshalb haben wir auch keine Angst vor anspruchsvollen Übungen – und überfordern uns oft dabei.
Im schlechtesten Fall führt unser Ehrgeiz zu Verletzungen, besonders wenn unerfahrene Schüler online nachturnen – ohne die Korrektur eines Lehrers.
Realistische Ziele
Wer an Onlinekursen teilnimmt, sollte vor allem ehrlich zu sich sein und einen Kurs wählen, der dem eigenen Niveau wirklich entspricht. Werden für dich neue Übungen gezeigt und nicht ausreichend erklärt bzw. gründlich angesagt, dann lass diese Übung aus. Das Gleiche gilt, wenn sich etwas unangenehm anfühlt oder du sogar Schmerzen hast. Das sind Warnsignale unseres Körpers, dem die Übungen gut tun soll und nicht schaden!
Im Gegenzug sollten wir Yogaprofis unsere Onlineangebote realistisch bewerten und für die Zielgruppe ausschreiben, die die gezeigten Übungen sicher daheim umsetzen kann. Also weg mit unserem falschen Ehrgeiz und mehr an die Schüler denken! Vor allem wenn wir Flows zeigen, sollten wir in der ersten Runde ohne Tempodruck die einzelnen Asanas genau ansagen, um die Onlineteilnehmer bei ihrem Training so gut es geht abzuholen. Nur so können wir Verletzungen vermeiden – und unserer Rolle als (Online-)Yogalehrer gerecht werden.